Mein Vater sagte immer, „Jeder Junge träumt irgendwann mal davon, Lokführer zu werden“, und mein Bruder betonte neulich erst, als er mich zur Kommunion meiner jüngsten Nichte mit seiner Freundin vom Bahnhof abholte, „wie gerne würde ich einmal vorne im Zug mitfahren“. Für mich wurde dieser Wunsch am Dienstag Realität, und während ich diese Zeilen schreibe, bin ich immer noch gefangen von den Eindrücken des Tages. Viele Freunde haben geholfen, dass es Wirklichkeit wurde, und an dieser Stelle möchte einfach nur „Danke“ sagen. Und einen ganz besonderen Dankes- und Liebeskuss geht an meine Panin, die das alles so phantastisch organisiert hat. Um es vorwegzunehmen, es war viel besser und spannender, als ich mir das vorstellen konnte, es war eindrucksvoll, genial, spannend, witzig - ein Erlebnis!
Doch der Reihe nach. Ich war derbe nervös, als ich erfahren hatte, was die Geburtstagsüberraschung war, und meine Panin hatte mit den Mitschenkern wirklich dicht gehalten. Morgens ging mir alles nicht schnell genug, denn ich nervte meinen Vater, doch bitte rechtzeitig zum Bahnhof nach Münster zu fahren, ich musste doch rechtzeitig in Hannover sein. Zwischendurch versetzte ich meine Panin noch in helle Aufregung, da ich das Schreiben des Bahnmitarbeiters falsch verstand. Doch auch das klärte sich.
In Hannover angekommen, hatte ich zwei Stunden Aufenthalt. Gegen 12 Uhr lief ich zu Gleis 4, und kurze Zeit später fuhr der erste Zug ein, Punkt 12.12 Uhr. Ich hatte gesehen, dass mein Zug aus zwei Teilen bestand: Einer kam aus Bremen, der andere aus Hamburg. Ich ging zur Zugspitze und wartete. Abfahrt war 12.26, zehn Minuten vor Abfahrt sollte der Begleiter kommen. Doch er kam nicht! Der Lokführer schaute aus dem Fenster und ich sagte ihm, ich sei heute sein besonderer Fahrgast. Er meinte, er wisse nichts, worauf ich ihm das Schreiben der Bahn zeigte und er fragte, ob ich nicht schon einsteigen wolle? Klar wollte ich! Er öffnete die Tür, und der Wunsch wurde wahr. Er war 55 Jahre, kam aus Bremen und meinte, ich könne mitfahren, selbst wenn der technische Begleiter nicht komme. Doch Herr K. kam!
Gegen 12.23 wurde es spannend. „Hm, schon das Ausfahrsignal“; wunderte sich der Lokführer, „ist der Hamburger schon angekoppelt?“ Nein, er war es nicht, wie eine Signalleuchte zeigte. Er kam gerade an und wurde angekoppelt. Unser Zug war nun 420 Meter lang und fast 900 Tonnen schwer! Sicherheitscheck. Ein Problem! Uns fehlt Bremsleistung! 193 sollten es sein, 190 waren es. Ich weiß nicht, ob ich das folgende richtig verstanden habe, aber das hieß, dass wir Richtung Göttingen nicht ganz so schnell fahren durften. Ausfahrt, 12.31 Uhr, fünf Minuten später. Kein Problem sagte der Lokführer, „das holen wir bis Göttingen wieder rein“. Doch wann dürfen wir abfahren? Es kam kein Anruf von hinten mit der Meldung „Los geht’s“; und den Pfiff des Zugchefs hörte ich auch nicht. Ganz einfach, wurde ich schnell aufgeklärt. Einerseits sieht der Lokführer im Display anhand zwei blinkender „T“s, dass die Türen geschlossen werden, und am Ausfahrsignal oder in der Nähe gibt es ein Signal, dass bei Abfahrbereitschaft einen grünen Kreis zeigt. Die Türen noch verriegelt, und los ging die knapp 320 Kilometer lange Fahrt Richtung Süden.
Es war spannend, unglaublich spannend sogar. Zunächst fuhren wir mit Tempo 150 Richtung Göttingen, und wir erreichten schon bald die Schnellfahrstrecke. Ich fragte alles, was ich wissen wollte, und als kurz nach Hannover die erste Einfahrt in den Tunnel kann, war ich endgültig gefangen. Es ist ein Aufsehen erregendes Bild, wenn der Tunnel mit Tempo 250 immer näher kommt und es plötzlich dunkel wird, man aber alles sieht, weil links und rechts Beleuchtung ist und die Signale in langen Tunneln für rot-grün-orange Farbtupfer sorgen. Genau so die langen Brücken, aus der Sicht des Fahrers zu befahren, ist ganz anders. Viele Signale gibt es übrigens nicht, sie stehen im Abstand von zwölf Kilometern; davor gibt es Vorsignale, die anzeigen, was den Lokführer am nächsten Signal erwartet. Überhaupt sieht er zehn Kilometer voraus, was vor ihm passiert, sobald der Zug auf der automatischen Führung ist – LZB genannt. Automatisch heißt, dass der Computer die gesamte Fahrt steuern kann - innerhalb der Parameter, die ihm der Lokführer vorgibt -, die Fahrgeschwindigkeit erreicht und bremst, je nachdem, wie es das Signal will. Oberhand hat aber immer der Lokführer. Er gibt vor, wie schnell der Zug maximal fahren darf. Stellt er den Schalter beispielsweise auf 100 km/h ein, dann wird der Zug auch nicht schneller.
Erste Einfahrt in Göttingen. Wir sind tatsächlich pünktlich, der Lokführer hatte recht und die fünf Minuten locker aufgeholt. Die Reisenden stehen am Bahnsteig, wir fahren langsam ein. Wo soll der Zug aber halten, damit die Wagenangaben in den Schautafeln mit den Wagenstandsanzeigen auch passen? Der Lokführer erklärt es: Bei einer Länge von 420 Metern fahren wir bis zum Ende des Bahnsteigs. Sonst helfen Hinweisschildern, weiße Tafeln, die beispielsweise die Aufschrift „Halt 300 Meter“ tragen. Das heißt, ist der Zug 300 Meter lang, dann muss hier gehaltern werden. Und warum fehlen die Wagen 8 und 13 bei den meisten ICEs’? Herr K. weiß erstmals keine Antwort, 13 aufgrund des Aberglaubens, aber 8? Da muss er passen.
Wir verlassen Göttingen und fahren nun in Richtung Kasseler Berge. Man bekommt im Fahrgastbereich so wenig von der Faszination des Eisenbahnfahrens mit. Nie ist mir beispielsweise aufgefallen, wie viele Steigungen der Zug überwinden muss. Na klar ist das logisch, aber man sieht es halt nicht. Manchmal muss die Lok ganz schön asten, um auf Touren zu kommen.
Lokführer Eins, der mich in Hannover an Bord gelassen hat, erzählt, dass er nur bis Kassel-Wilhelmshöhe fährt. In Bremen begann seine Schicht, in Kassel hat er eine Stunde Pause – „dann gehe ich in die leckere Kantine“ -, anschließend fährt er zurück von Kassel-Wilhelmshöhe nach Hannover, hat dort wieder zwei Stunden Pause – „dann gehe ich zum Training“ (seine Sportsachen hat er mit), -, und zum Ende seiner Schicht fährt er noch einmal einen Zug nach Bremen. Seit 1981 fährt er, der seit fast 40 Jahren bei der Bahn ist, Schnellzüge. Herr K. ist dagegen so eine Art Lokführerleiter. Er hat ebenfalls einen Führerschein der Klasse 3 – ja, die gibt es auch bei der Bahn – und darf jede Menge Loks fahren. Welche das sind, ist in seinem Führerschein aufgelistet. Der ICE 2 – ET 402 – ist ebenfalls darunter. 100 Stunden muss er jährlich fahren, um die Lizenz zu behalten. Das macht er auch, denn ab und zu begleitet er Lokführer, und die beiden wechseln sich dann manchmal ab – „Auch ein Lokführer hat ja mal Bedürfnisse“, erklärt er.
Über den Schienen unterhalb der Oberleitung taucht ein „W“ an einer elektrischen Tafel auf. „Das zeigt, dass der Weg richtig geschaltet ist und wir nach Kassel-Wilhelmshöhe fahren“, antwortet der Lokführer. „Wenn ich sehe, dass wir einen falschen Weg vorgegeben bekommen, dann muss ich halten und der Leitzentrale mitteilen, dass sie den Weg falsch gestellt haben“. Das sei schon manchmal passiert.
Kassel-Wilhelmshöhe. Wir fahren wieder langsam ein. Mal sehen, wo wir landen, sprich auf welches Gleis fahren wir ein? Die Lokführer kennen zwar die Standardgleise, aber ab und zu wird doch etwas geändert. Wir dürfen nur 60 km/h fahren, daher seine Frage. Doch wir fahren auf dem entsprechenden, vorgesehenen Gleis ein, und da wir überpünktlich sind, findet der Lokführerwechsel völlig unproblematisch statt. Er sagt „Tschüss“, und ab geht’s in die Kantine, aber nicht ohne seinem Nachfolger die paar Hinweise zu geben hinsichtlich der Bremskraft und etwaiger Störungen. Störungen? Der neue, ein echter Bayer aus München, beruhigt mich, und er scheint sich zu freuen, nicht allein fahren zu müssen. Um 6.08 Uhr begann seine Schicht in München, bis nach Kassel fuhr er, und jetzt fährt er die Lok wieder nach München zurück. Die Störungen sind kein Problem, wiederholt er, und wieder einmal bekomme ich alles erklärt. Weiterfahrt höchstens bis zum ICE-Werk des Endbahnhofs steht auf einem Display, doch das sei nichts Schlimmes, noch unterwegs würde geprüft per Abfrage, ob etwas nicht in Ordnung sei, wahrscheinlich nur ein kleiner Fehler. Und die Lok macht wirklich noch einen fitten Eindruck, denn wir erreichen problemlos die 250 km/h.
Der neue Lokführer ist anders. Er macht viel mehr selber. „Bremsen kann ich viel sanfter als die LZB“, meint er, und er hat recht. „Das ist halt der Unterschied zwischen einem Fahrer und einem Lokführer,“ meint Herr K. Der Zug fährt zwar nach wie vor größtenteils automatisch und alles wird angezeigt im Cockpit: die Entfernung zum Signal, die erreichte Geschwindigkeit und vieles, vieles mehr. Und das Tempo? 250 merkt man kaum. Dabei könnte die Lok 280 fahren, doch das lohne nicht, wird mir erklärt. Der Grund ist einfach: „Der Energieverbrauch wäre für das Beschleunigen und immer Abbremsen viel zu hoch, und der Zeitvorteil ist zu gering.“ Ich wundere mich. Doch Herr K. fährt fort: In den Tunnels darf man halt nur 250 fahren, und deshalb müsste die Lok immer wieder bremsen und beschleunigen. „Auch die Bahn spart Energie“.
Zum Glück sind wir noch nicht am Ziel, und die letzte Stunde der Fahrt beginnt. Zum Glück, denn es macht richtig Spaß und ist total spannend. „In Fulda – HP0 da“, scherzt Herr K. Meinen wundersamen Blick sehend erklärt er den „Eisenbahner-Joke“: Das Hauptsignal – HP0 – in Fulda stehe bei Einfahrt fast immer auf rot! Und tatsächlich zeigt das Vorsignal ein rotes HP0 an. Doch als wir am Bahnsteig ankommen, ist es auf grün geschaltet. Der Spruch aber stimmte wieder einmal! Ich sehe erstmals meine Geburtsstadt aus einer neuen Perspektive, und die Einfahrt ist wirklich beeindruckend. Wieder stehen die Passagiere am Bahnsteig, und irgendwie bin ich stolz, vorne im Führerstand sitzen zu dürfen.
Türen geschlossen, Ausfahrtsignal auf Grün, es geht weiter auf die letzte Etappe des Abenteuers. Der Richtungsanzeiger steht auf "W" wie Würzburg, und wieder beschleunigen wir langsam auf 250. Sicherheit im Tunnel ist ein Anliegen, das mir Herr K. unbedingt noch erklären möchte. Alle 200 Meter sehen wir wie auf der Autobahn Kilometerangaben. So erkennt der Lokführer immer genau, wo er sich gerade befindet. Manche dieser weißen Tafeln haben oben und unten orange Balken. Was es damit auf sich hat? Sie zeigen dem Lokführer, wo er halten darf im Falle einer Notbremsung! Also: Zieht ein Fahrgast die Notbremse, dann stoppt der Zug eigentlich sofort ab. Erkennt der Lokführer aber diese entsprechend gekennzeichneten Kilometertafeln, dann überbrückt er die Zwangsbremsung und fährt mit 160 km/h weiter! Er fährt so lange, bis eine Tafel kommt, die nicht diese Kennzeichnung hat! „Ja, da sagte mal einer, wenn sie so schnell fahren, dann sehen sie ja gar nicht die entsprechenden Tafeln“, sagt Herr K. „Deswegen gehen wir ja runter auf 160, um sie zu erkennen“, fährt er fort. Die Tafeln zeigen also Stellen, wo Rettungskräfte den Zug schnell erreichen können. Man stelle sich einmal vor, was passieren würde, wenn man Reisende auf einer Brücke evakuieren müsse. „Die fallen dann ja alle rechts und links runter“, scherze ich, und Herr K und der Lokführer stimmen zu. Deswegen: Die mit den Balken gekennzeichneten Tafeln zeigen also Stellen an, wo eine Rettung nur schwerer möglich wäre.
Plötzlich - 130 Kilometer wird angezeigt, und der Lokführer bremst langsam ab. „Wir wechseln bestimmt gleich das Gleis“, sagt er, und tatsächlich, mit 130 Kilometern werden wir auf das andere Gleis geführt. Auch der Gleiswechsel bei dieser Geschwindigkeit ist irgendwie cool, man bekommt es hinten bei den Passagieren gar nicht richtig mit. Es macht wirklich Spaß, das alles mitzuerleben. Dann: „Wir haben jetzt Teilblocksteuerung“. Keine Ahnung, ob das wirklich so heißt, aber so ähnlich. Die Eindrücke sind so vielfältig, dass ich manches nicht mehr richtig im Kopf habe, aber es wird wieder spannend. Denn alle Signale sind plötzlich abgeschaltet. Wieso das? Nun, normalerweise stehen alle zwölf Kilometer Signale. Sie markieren einen Block, in dem sich normalerweise eigentlich nur ein Zug befinden darf. Doch das gilt jetzt nicht mehr, denn im selben Block fährt sieben Kilometer vor uns ein anderer ICE. Wir rasen mit 250 hinterher, doch es kann nichts passieren. Und die Signale sind ausgeschaltet, damit der Lokführer nicht gegen seinen Zwang über rot fahren muss. Darüber hinaus hilft ihm die LZB.
Unsere Reise nähert sich dem Ende. Pünktlich, viel zu pünktlich fahren wir in Würzburg ein, meiner Heimat ab dem 1. Juni. Wir verabschieden uns, und dem Lokführer scheint es wirklich Spaß gemacht zu haben, er meint, ich könne ja weiter mitfahren. Doch das geht nicht, mein Begleiter muss zurück nach Hannover. Viel zu schnell muss ich raus, und mein Abenteuer ist zu Ende, pünktlich um 14.29 Uhr.
Von vielen Eindrücken überwältigt gehe ich langsam den Bahnsteig entlang, schaue dem ICE wehmütig nach, als er langsam den Würzburger Bahnhof verlässt. Ja, jetzt weiß ich, was alles passiert, wovon man hinten nichts mitbekommt. Und meine Mittwochs-Fahrt im ICE von Hamburg nach Würzburg zu meiner geliebten Panin habe ich ruhig und wehmütig im Passagierabteil sitzend verbracht. Nicht Musik hörend, nicht lesend, einfach nur raussschauend und zurückdenkend an das phantastische Geschenk, das meine geliebte Maus für mich organisiert hat.
Allen ein Dankeschön, die sich daran beteiligt haben! Und besonders meiner Panin, die mir einen Herzenswunsch erfüllt hat!
Doch der Reihe nach. Ich war derbe nervös, als ich erfahren hatte, was die Geburtstagsüberraschung war, und meine Panin hatte mit den Mitschenkern wirklich dicht gehalten. Morgens ging mir alles nicht schnell genug, denn ich nervte meinen Vater, doch bitte rechtzeitig zum Bahnhof nach Münster zu fahren, ich musste doch rechtzeitig in Hannover sein. Zwischendurch versetzte ich meine Panin noch in helle Aufregung, da ich das Schreiben des Bahnmitarbeiters falsch verstand. Doch auch das klärte sich.
In Hannover angekommen, hatte ich zwei Stunden Aufenthalt. Gegen 12 Uhr lief ich zu Gleis 4, und kurze Zeit später fuhr der erste Zug ein, Punkt 12.12 Uhr. Ich hatte gesehen, dass mein Zug aus zwei Teilen bestand: Einer kam aus Bremen, der andere aus Hamburg. Ich ging zur Zugspitze und wartete. Abfahrt war 12.26, zehn Minuten vor Abfahrt sollte der Begleiter kommen. Doch er kam nicht! Der Lokführer schaute aus dem Fenster und ich sagte ihm, ich sei heute sein besonderer Fahrgast. Er meinte, er wisse nichts, worauf ich ihm das Schreiben der Bahn zeigte und er fragte, ob ich nicht schon einsteigen wolle? Klar wollte ich! Er öffnete die Tür, und der Wunsch wurde wahr. Er war 55 Jahre, kam aus Bremen und meinte, ich könne mitfahren, selbst wenn der technische Begleiter nicht komme. Doch Herr K. kam!
Gegen 12.23 wurde es spannend. „Hm, schon das Ausfahrsignal“; wunderte sich der Lokführer, „ist der Hamburger schon angekoppelt?“ Nein, er war es nicht, wie eine Signalleuchte zeigte. Er kam gerade an und wurde angekoppelt. Unser Zug war nun 420 Meter lang und fast 900 Tonnen schwer! Sicherheitscheck. Ein Problem! Uns fehlt Bremsleistung! 193 sollten es sein, 190 waren es. Ich weiß nicht, ob ich das folgende richtig verstanden habe, aber das hieß, dass wir Richtung Göttingen nicht ganz so schnell fahren durften. Ausfahrt, 12.31 Uhr, fünf Minuten später. Kein Problem sagte der Lokführer, „das holen wir bis Göttingen wieder rein“. Doch wann dürfen wir abfahren? Es kam kein Anruf von hinten mit der Meldung „Los geht’s“; und den Pfiff des Zugchefs hörte ich auch nicht. Ganz einfach, wurde ich schnell aufgeklärt. Einerseits sieht der Lokführer im Display anhand zwei blinkender „T“s, dass die Türen geschlossen werden, und am Ausfahrsignal oder in der Nähe gibt es ein Signal, dass bei Abfahrbereitschaft einen grünen Kreis zeigt. Die Türen noch verriegelt, und los ging die knapp 320 Kilometer lange Fahrt Richtung Süden.
Es war spannend, unglaublich spannend sogar. Zunächst fuhren wir mit Tempo 150 Richtung Göttingen, und wir erreichten schon bald die Schnellfahrstrecke. Ich fragte alles, was ich wissen wollte, und als kurz nach Hannover die erste Einfahrt in den Tunnel kann, war ich endgültig gefangen. Es ist ein Aufsehen erregendes Bild, wenn der Tunnel mit Tempo 250 immer näher kommt und es plötzlich dunkel wird, man aber alles sieht, weil links und rechts Beleuchtung ist und die Signale in langen Tunneln für rot-grün-orange Farbtupfer sorgen. Genau so die langen Brücken, aus der Sicht des Fahrers zu befahren, ist ganz anders. Viele Signale gibt es übrigens nicht, sie stehen im Abstand von zwölf Kilometern; davor gibt es Vorsignale, die anzeigen, was den Lokführer am nächsten Signal erwartet. Überhaupt sieht er zehn Kilometer voraus, was vor ihm passiert, sobald der Zug auf der automatischen Führung ist – LZB genannt. Automatisch heißt, dass der Computer die gesamte Fahrt steuern kann - innerhalb der Parameter, die ihm der Lokführer vorgibt -, die Fahrgeschwindigkeit erreicht und bremst, je nachdem, wie es das Signal will. Oberhand hat aber immer der Lokführer. Er gibt vor, wie schnell der Zug maximal fahren darf. Stellt er den Schalter beispielsweise auf 100 km/h ein, dann wird der Zug auch nicht schneller.
Erste Einfahrt in Göttingen. Wir sind tatsächlich pünktlich, der Lokführer hatte recht und die fünf Minuten locker aufgeholt. Die Reisenden stehen am Bahnsteig, wir fahren langsam ein. Wo soll der Zug aber halten, damit die Wagenangaben in den Schautafeln mit den Wagenstandsanzeigen auch passen? Der Lokführer erklärt es: Bei einer Länge von 420 Metern fahren wir bis zum Ende des Bahnsteigs. Sonst helfen Hinweisschildern, weiße Tafeln, die beispielsweise die Aufschrift „Halt 300 Meter“ tragen. Das heißt, ist der Zug 300 Meter lang, dann muss hier gehaltern werden. Und warum fehlen die Wagen 8 und 13 bei den meisten ICEs’? Herr K. weiß erstmals keine Antwort, 13 aufgrund des Aberglaubens, aber 8? Da muss er passen.
Wir verlassen Göttingen und fahren nun in Richtung Kasseler Berge. Man bekommt im Fahrgastbereich so wenig von der Faszination des Eisenbahnfahrens mit. Nie ist mir beispielsweise aufgefallen, wie viele Steigungen der Zug überwinden muss. Na klar ist das logisch, aber man sieht es halt nicht. Manchmal muss die Lok ganz schön asten, um auf Touren zu kommen.
Lokführer Eins, der mich in Hannover an Bord gelassen hat, erzählt, dass er nur bis Kassel-Wilhelmshöhe fährt. In Bremen begann seine Schicht, in Kassel hat er eine Stunde Pause – „dann gehe ich in die leckere Kantine“ -, anschließend fährt er zurück von Kassel-Wilhelmshöhe nach Hannover, hat dort wieder zwei Stunden Pause – „dann gehe ich zum Training“ (seine Sportsachen hat er mit), -, und zum Ende seiner Schicht fährt er noch einmal einen Zug nach Bremen. Seit 1981 fährt er, der seit fast 40 Jahren bei der Bahn ist, Schnellzüge. Herr K. ist dagegen so eine Art Lokführerleiter. Er hat ebenfalls einen Führerschein der Klasse 3 – ja, die gibt es auch bei der Bahn – und darf jede Menge Loks fahren. Welche das sind, ist in seinem Führerschein aufgelistet. Der ICE 2 – ET 402 – ist ebenfalls darunter. 100 Stunden muss er jährlich fahren, um die Lizenz zu behalten. Das macht er auch, denn ab und zu begleitet er Lokführer, und die beiden wechseln sich dann manchmal ab – „Auch ein Lokführer hat ja mal Bedürfnisse“, erklärt er.
Über den Schienen unterhalb der Oberleitung taucht ein „W“ an einer elektrischen Tafel auf. „Das zeigt, dass der Weg richtig geschaltet ist und wir nach Kassel-Wilhelmshöhe fahren“, antwortet der Lokführer. „Wenn ich sehe, dass wir einen falschen Weg vorgegeben bekommen, dann muss ich halten und der Leitzentrale mitteilen, dass sie den Weg falsch gestellt haben“. Das sei schon manchmal passiert.
Kassel-Wilhelmshöhe. Wir fahren wieder langsam ein. Mal sehen, wo wir landen, sprich auf welches Gleis fahren wir ein? Die Lokführer kennen zwar die Standardgleise, aber ab und zu wird doch etwas geändert. Wir dürfen nur 60 km/h fahren, daher seine Frage. Doch wir fahren auf dem entsprechenden, vorgesehenen Gleis ein, und da wir überpünktlich sind, findet der Lokführerwechsel völlig unproblematisch statt. Er sagt „Tschüss“, und ab geht’s in die Kantine, aber nicht ohne seinem Nachfolger die paar Hinweise zu geben hinsichtlich der Bremskraft und etwaiger Störungen. Störungen? Der neue, ein echter Bayer aus München, beruhigt mich, und er scheint sich zu freuen, nicht allein fahren zu müssen. Um 6.08 Uhr begann seine Schicht in München, bis nach Kassel fuhr er, und jetzt fährt er die Lok wieder nach München zurück. Die Störungen sind kein Problem, wiederholt er, und wieder einmal bekomme ich alles erklärt. Weiterfahrt höchstens bis zum ICE-Werk des Endbahnhofs steht auf einem Display, doch das sei nichts Schlimmes, noch unterwegs würde geprüft per Abfrage, ob etwas nicht in Ordnung sei, wahrscheinlich nur ein kleiner Fehler. Und die Lok macht wirklich noch einen fitten Eindruck, denn wir erreichen problemlos die 250 km/h.
Der neue Lokführer ist anders. Er macht viel mehr selber. „Bremsen kann ich viel sanfter als die LZB“, meint er, und er hat recht. „Das ist halt der Unterschied zwischen einem Fahrer und einem Lokführer,“ meint Herr K. Der Zug fährt zwar nach wie vor größtenteils automatisch und alles wird angezeigt im Cockpit: die Entfernung zum Signal, die erreichte Geschwindigkeit und vieles, vieles mehr. Und das Tempo? 250 merkt man kaum. Dabei könnte die Lok 280 fahren, doch das lohne nicht, wird mir erklärt. Der Grund ist einfach: „Der Energieverbrauch wäre für das Beschleunigen und immer Abbremsen viel zu hoch, und der Zeitvorteil ist zu gering.“ Ich wundere mich. Doch Herr K. fährt fort: In den Tunnels darf man halt nur 250 fahren, und deshalb müsste die Lok immer wieder bremsen und beschleunigen. „Auch die Bahn spart Energie“.
Zum Glück sind wir noch nicht am Ziel, und die letzte Stunde der Fahrt beginnt. Zum Glück, denn es macht richtig Spaß und ist total spannend. „In Fulda – HP0 da“, scherzt Herr K. Meinen wundersamen Blick sehend erklärt er den „Eisenbahner-Joke“: Das Hauptsignal – HP0 – in Fulda stehe bei Einfahrt fast immer auf rot! Und tatsächlich zeigt das Vorsignal ein rotes HP0 an. Doch als wir am Bahnsteig ankommen, ist es auf grün geschaltet. Der Spruch aber stimmte wieder einmal! Ich sehe erstmals meine Geburtsstadt aus einer neuen Perspektive, und die Einfahrt ist wirklich beeindruckend. Wieder stehen die Passagiere am Bahnsteig, und irgendwie bin ich stolz, vorne im Führerstand sitzen zu dürfen.
Türen geschlossen, Ausfahrtsignal auf Grün, es geht weiter auf die letzte Etappe des Abenteuers. Der Richtungsanzeiger steht auf "W" wie Würzburg, und wieder beschleunigen wir langsam auf 250. Sicherheit im Tunnel ist ein Anliegen, das mir Herr K. unbedingt noch erklären möchte. Alle 200 Meter sehen wir wie auf der Autobahn Kilometerangaben. So erkennt der Lokführer immer genau, wo er sich gerade befindet. Manche dieser weißen Tafeln haben oben und unten orange Balken. Was es damit auf sich hat? Sie zeigen dem Lokführer, wo er halten darf im Falle einer Notbremsung! Also: Zieht ein Fahrgast die Notbremse, dann stoppt der Zug eigentlich sofort ab. Erkennt der Lokführer aber diese entsprechend gekennzeichneten Kilometertafeln, dann überbrückt er die Zwangsbremsung und fährt mit 160 km/h weiter! Er fährt so lange, bis eine Tafel kommt, die nicht diese Kennzeichnung hat! „Ja, da sagte mal einer, wenn sie so schnell fahren, dann sehen sie ja gar nicht die entsprechenden Tafeln“, sagt Herr K. „Deswegen gehen wir ja runter auf 160, um sie zu erkennen“, fährt er fort. Die Tafeln zeigen also Stellen, wo Rettungskräfte den Zug schnell erreichen können. Man stelle sich einmal vor, was passieren würde, wenn man Reisende auf einer Brücke evakuieren müsse. „Die fallen dann ja alle rechts und links runter“, scherze ich, und Herr K und der Lokführer stimmen zu. Deswegen: Die mit den Balken gekennzeichneten Tafeln zeigen also Stellen an, wo eine Rettung nur schwerer möglich wäre.
Plötzlich - 130 Kilometer wird angezeigt, und der Lokführer bremst langsam ab. „Wir wechseln bestimmt gleich das Gleis“, sagt er, und tatsächlich, mit 130 Kilometern werden wir auf das andere Gleis geführt. Auch der Gleiswechsel bei dieser Geschwindigkeit ist irgendwie cool, man bekommt es hinten bei den Passagieren gar nicht richtig mit. Es macht wirklich Spaß, das alles mitzuerleben. Dann: „Wir haben jetzt Teilblocksteuerung“. Keine Ahnung, ob das wirklich so heißt, aber so ähnlich. Die Eindrücke sind so vielfältig, dass ich manches nicht mehr richtig im Kopf habe, aber es wird wieder spannend. Denn alle Signale sind plötzlich abgeschaltet. Wieso das? Nun, normalerweise stehen alle zwölf Kilometer Signale. Sie markieren einen Block, in dem sich normalerweise eigentlich nur ein Zug befinden darf. Doch das gilt jetzt nicht mehr, denn im selben Block fährt sieben Kilometer vor uns ein anderer ICE. Wir rasen mit 250 hinterher, doch es kann nichts passieren. Und die Signale sind ausgeschaltet, damit der Lokführer nicht gegen seinen Zwang über rot fahren muss. Darüber hinaus hilft ihm die LZB.
Unsere Reise nähert sich dem Ende. Pünktlich, viel zu pünktlich fahren wir in Würzburg ein, meiner Heimat ab dem 1. Juni. Wir verabschieden uns, und dem Lokführer scheint es wirklich Spaß gemacht zu haben, er meint, ich könne ja weiter mitfahren. Doch das geht nicht, mein Begleiter muss zurück nach Hannover. Viel zu schnell muss ich raus, und mein Abenteuer ist zu Ende, pünktlich um 14.29 Uhr.
Von vielen Eindrücken überwältigt gehe ich langsam den Bahnsteig entlang, schaue dem ICE wehmütig nach, als er langsam den Würzburger Bahnhof verlässt. Ja, jetzt weiß ich, was alles passiert, wovon man hinten nichts mitbekommt. Und meine Mittwochs-Fahrt im ICE von Hamburg nach Würzburg zu meiner geliebten Panin habe ich ruhig und wehmütig im Passagierabteil sitzend verbracht. Nicht Musik hörend, nicht lesend, einfach nur raussschauend und zurückdenkend an das phantastische Geschenk, das meine geliebte Maus für mich organisiert hat.
Allen ein Dankeschön, die sich daran beteiligt haben! Und besonders meiner Panin, die mir einen Herzenswunsch erfüllt hat!
Hartgendorn - am Freitag, 21. Mai 2004, 08:14 - Rubrik: Der Pan